Der Volkstrauertag steht bevor. In diesem Jahr rückt er mir besonders nahe. Denn Krieg und Verbrechen sind nahe gerückt. Eine Freundin postet das Foto ihres Bruders in Uniform: "Mein geliebter Bruder - er starb für die Freiheit unseres Volkes!" Mein eigener geliebter Bruder hat damals Zivildienst gemacht - er ist nicht beim Militär, und ich muss nicht um sein Leben bangen, wie es so viele andere Familien in Europa - auch bei uns - tun. Außerdem, das habe ich von Jesus gelernt, ist auch der Bruder meiner Freundin mein Bruder, jedenfalls in gewisser Weise. Unrecht, Mord, Gewaltverbrechen dürfen nicht gleichgültig werden, ob nun im Nachbarhaus, im Nachbarland oder in der Ferne.
Der Volkstrauertag steht bevor. Auf einer Tagung sagte eine Kollegin, sie findet es unangenehm, dass am Volkstrauertag in ihrer Gemeinde die Bläser nach der Nationalhymne immer das Lied "Ich hatt' einen Kameraden" anstimmen würden. Kriegsverherrlichend sei das. Ich sehe das anders. Mich erinnert der Liedtext an meinen Großvater, der seinen Enkeln schonungslos von seinen Kriegserlebnissen berichtet hat. "Wie es im Krieg war? Was glaubt ihr denn, wie es ist, wenn du mit zwei Mann auf dem Motorrad nahe der Frontlinie unterwegs bist, und mitten im Beschuss greifst du nach dem Kameraden hinter dir, und da ist nur Blut!" Mein Großvater hat das Lied "Ich hatt' einen Kameraden" nie gesungen, er ist radikaler Pazifist geworden. Aber er hat mir beigebracht, den Schrecken des Krieges genauso ernst zu nehmen wie auch die psychische Belastung, die Soldaten bereit sind, auf sich zu nehmen - "für die Freiheit ihres Volkes", wie es meine Freundin ausdrückt. Dafür bin ich dankbar.
Der Volkstrauertag steht bevor. Bundespräsident Steinmeier sagte neulich: "Demokratie ist eine anspruchsvolle Staatsform." Das hatte ich früher nie so gesehen. Eher dass Demokratie Freiheit und Selbstbestimmung ermöglicht. Doch je mehr wir unseren Lebensstandard und unsere Freiheiten als selbstverständliches Recht ansehen, das man uns nicht wegnehmen darf, umso schneller wächst die Unzufriedenheit mit der Demokratie. Darum halte ich die Frage der ARD-Themenwoche "Was hält uns zusammen?" für klug gewählt. Kümmern wir uns um Dinge, die Gemeinschaft und Solidarität stärken. Auch hier kann ich von Jesus lernen. Bewahren wir das Wissen um die Kostbarkeit von Frieden. Komm, wir zieh‘n mit...
Ihre Pastorin Susanne v. Stemm